Kategorien
Editorial

Alles über Financial Times Deutschland

Artikel über Linux scheinen bei den renommierten Printmedien langsam in Mode zu kommen. Jetzt ist sogar einer beim deutschen Ableger der ehrwürdigen Financial Times (FTD) erschienen. Um das Fazit vorwegzunehmen, wenn alle Artikel der FTD so schlecht recherchiert sind, beziehe ich meine Finanznachrichten zukünftig lieber aus der Bild 🙂 Natürlich gibt es jetzt hier nicht alles zur Financial Times zu lesen, nur einen Kommentar zum aktuell (20.11.2002) dort erschienenen Linux-Artikel.

Hier nun erst einmal der Link auf den Originalartikel: Alles über Linux

Vorweg schickt der Autor, Benjamin Prüfer, seinen Beweggrund, den Artikel zu schreiben, ins Rennen: „Diskussionen über das freie Betriebssystem werden meist mit viel Engagement, aber wenig Fachwissen geführt.“ Nun ja, wie es aussieht, ist der FTD das Gleiche passiert 🙂

Kommen wir zur Beantwortung der Fragen.

Frage 1: Bin ich ein Realitätsfremder Idealist, wenn ich Linux benutze?

Abgesehen davon, dass hier an prominenter Stelle gleich ein Tippfehler sitzt, ist allein die Art der Frage schon ein Witz. Gegenfrage, bin ich ein realitätsfremder Analphabet, wenn ich FTD lese?

Die Antwort, zu der sich der Autor durchgerungen hat, ist fast genauso witzig, man ist seiner Meinung nach nur solange nicht realitätsfremd, solange man Linux auf Servern betreibt. Briefeschreiber dagegen haben als Linux-Nutzer anscheinend den Sinn für’s Wesentliche verloren 🙂

Lieber Herr Prüfer, Briefe schreibt man nicht mit Linux, sondern mit geeigneten Textverarbeitungsprogrammen. Linux ist ein Betriebssystem und als solches ohne weiteres nicht zum Schreiben von Briefen geeignet. Bei Bedarf zeige ich Ihnen gern, wie Sie mit geeigneten Mitteln und mittels Linux als Betriebssystem hervorragend Briefe schreiben können.

Frage 2: Ist Linux kostenlos?

Ja, ja und nochmal ja. Linux ist kostenlos. Linux-Distributionen sind es evtl. nicht, aber im Gegensatz zu anderen Betriebssystemen kann man sich bei Linux aussuchen, woher man es bezieht. Wenn ich einem Freund eine selbstkopierte Version von Linux in die Hand drücke, ohne ihm auch nur die Kosten für den CD-Rohling abzuverlangen, ist Linux für ihn kostenlos, egal, ob es Debian, Mandrake, SuSE oder Redhat ist. Und er kann es ganz legal einsetzen. Support kriegt er nicht, aber das war ja auch nicht die Frage.

Und lieber Herr Prüfer, die Arbeit der renommierten Linux-Anbieter (die Bezeichnung Distributor hören die nicht gern) mit „Installationsroutine schreiben, Handbuch verfassen und in Pappschachtel stecken“ zu entglorifizieren, ist genauso, als würde jemand über das ehrwürdige Handwerk des Zeitungsredakteurs schreiben, „er nimmt die altbekannten Buchstaben, würfelt sie neu durch, druckt den Kram und vertickt ihn für Geld“.

In beiden Fällen steckt etwas mehr Know-How und Können dahinter. Man wird nicht größer, indem man die Arbeit anderer kleiner macht.

Übrigens, keiner der Linux-Anbieter bietet nur veraltete Ausgaben seiner Werke zum Download an. Im Gegenteil, z.T. bekommt man die neuesten Ausgaben eher zum Downlaod als in der Pappschachtel. Schlecht recherchiert?

Frage 3: Stimmt es, dass Linux stabiler läuft als Windows?

Hier kommt der Autor zu der Überzeugung, dass Linux an sich zwar stabil ist, die Benutzeroberfläche, KDE, aber zu hastig entwickelt wurde und deshalb noch nicht so richtig stabil ist.

Zum Thema KDE nur soviel, die erste Betaversion erschien am 20.Oktober 1997, also vor etwas mehr als fünf Jahren, die erste Vollversion KDE 1 erschien am 12. Juli 1998, immer noch vor mehr als vier Jahren. Auch das lässt sich einfach recherchieren:

http://www.kde.de/whatiskde/proj.php#history

Abgesehen davon geht die Antwort an der Frage vorbei, denn von Benutzeroberflächen war ja nicht die Rede 🙂

Frage 4: Lohnt es sich, das Programm auf einem Desktop-Rechner zu installieren?

Hier steht tatsächlich ein „Ja“, wenn auch über drei Absätze ausgewalzt 🙂

Frage 5: Ist es sicherer als Windows?

Und hier kräuseln sich beim Lesen der Antwort wieder die Nackenhaare. Zwar werden die Vorteile erwähnt, das Fazit lautet aber, „wer Linux einfach mit den Standardeinstellungen auf die Festplatte kopiert, tut nur wenig für die Sicherheit seiner Daten.“

Tja, sollte dem Autor entgangen sein, daß sich handelsübliche Mitbewerber nicht eben durch übermäßige Sicherheit in die Schlagzeilen gebracht haben? Wo bleibt der echte Vergleich? Verglichen mit jedem x-beliebigen Redmonder Betriebssystem-Clone ist Linux geradezu eine leuchtende Perle der Datensicherheit. Natürlich muß man sich in beiden Fällen damit beschäftigen, sowohl bei Linux als auch bei diesem anderen, wie hieß das doch gleich?

Frage 6: Kann man windows und Linux gleichzeitig auf einem PC betreiben?

(Anmerkung der Red.: der Tippfehler in „windows“ ist original)

Kaum waren meine Nackenhaar wieder glatt, zack, schon sind sie wieder gekräuselt 🙂

Dem Thema, wie kriege ich Windows und Linux zusammen auf eine Festplatte, wird ein ganzer Absatz gewidmet, dabei könnte man über die Verrenkungen, die man dank Windows z.T. machen muß, um ein Dual-Boot-System hinzubekommen, komplette Bücher schreiben. Und von der Tatsache, daß auch NT, Win2000 und XP FAT32 kennen, scheint dem Autoren noch niemand erzählt zu haben.

Frage 7: Wie viele Versionen gibt es eigentlich – und welche ist die beste?

Na, auf die Antwort war ich wirklich gespannt 🙂 Und richtig, wir fangen gleich mit einem modernen Märchen an, der Uneinheitlichkeit von Linux, dem Hauptgrund, warum angeblich viele Unternehmen vor Linux zurückschrecken. Nun ja, hauptsächlich Unternehmen wie Microsoft, denn andere wie IBM, HP, Oracle und SAP, um nur einige zu nennen, schrecken durchaus nicht davor zurück. Das Zauberwort heißt LSB, Linux Standard Base.

Und richtig, darauf baut auch United Linux auf. Übrigens, die Beteiligten schreiben sich SuSE, SCO, Turbolinux und Conectiva. Wieder schlecht recherchiert, oder einfach nur mit dem falschen Betriebssystem geschrieben?

Frage 8: Ich möchte mir Linux einmal angucken – es aber nicht auf meinem Rechner installieren. (Was soll ich tun?)

Uneingeschränktes ACK, Knoppix ist die beste Antwort auf diese Frage.

Frage 9: Was ist der Kernel?

Hier wäre noch hinzuzufügen, das auch andere Betriebssysteme einen Kernel haben, die Dinger sind nämlich ziemlich nützlich, wenn sich ein „Programm“ als Betriebssystem ausgeben will, siehe kernel32.exe.

Frage 10: Und was sind KDE und Gnome?

Die Frage hätte eigentlich gleich nach Frage 3 kommen sollen, oder besser noch davor. Leider erhellt die Antwort nicht alles. Man braucht weder KDE, noch Gnome, um Fenster zu verwalten oder Grafiken anzuzeigen, dafür gibt es noch weitere Windowmanager, die im Übrigen alle auf X11 und XFree86 aufsetzen, die wirklich für diese Dinge zuständig sind.

Frage 11: Okay, ich habe das System installiert. Wo ist das Laufwerk C: ?

Meine absolute Lieblingsfrage in diesem Artikel. Besonders die Antwort gefällt mir so, daß ich sie hier komplett wiedergeben möchte. Meine Anmerkungen dazu sind in den Klammern:

„Wer das Arbeiten mit Windows gewohnt ist und zum ersten Mal vor einem Linux-Rechner sitzt, erlebt einige Überraschungen
(In der Tat, keine Abstürze, keine Viren etc.).
Laufwerksbuchstaben wie A: oder C: gibt es nicht – stattdessen einen einheitlichen Baum von Verzeichnissen und Unterverzeichnissen, in den die Dateien auf Disketten, Festplatten und CD eingewoben sind
(bis jetzt könnte man meinen, daß Fehlen von Laufwerksbuchstaben sei ein Feature).
Noch ein Fettnäpfchen:
(jetzt wissen wir es besser, es ist natürlich ein Manko, wer braucht schon mehr als 26 Laufwerke)
Verzeichnisnamen werden nicht mit einem Backslash () sondern mit einem Slash (/) getrennt
(wieso das jetzt ein Problem ist, erschließt sich mir nicht, es ist doch viel einfacher, einen / zu drücken, als einen ?).
Zudem wird bei Dateibezeichnungen zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden
(das die FTD das nicht tut, wird einem beim konsequenten Falschschreiben von SuSE klar).“

Übrigens, die richtige Antwort wäre gewesen, wenn es vorher ein Laufwerk C: gab, findet man es hinterher z.B. unter /windows/C/. Den Link dazu gibt’s z.B. bei SuSE auf dem KDE-Desktop. Einfach anklicken, warten, bis das Laufwerk (die Partition) gemountet (in den Verzeichnisbaum eingehängt) ist und alle Daten findet man da, wo sie waren.
Nachwort

Nachdem sich nun schon so viele dazu berufen fühlen, Artikel zu und über Linux zu schreiben, hier nun unser Aufruf. Liebe Leserin, lieber Leser, setzt euch an eure Rechner und schreibt Linux-Artikel. Schickt sie an die Zeitung eures Vertrauens, bereichert den deutschen Blätterwald um Geschriebenes zum Thema Linux und verdient euch nebenbei noch ein wenig dazu. Was, ihr könnt keine fundierten Artikel schreiben? Na und, das hält andere offensichtlich auch nicht ab. Also, nur zu…

In diesem Sinne, carpe diem,
Frank

P.S. und warum erscheint hier nun ein derartiger Verriss des gutgemeinten FTD-Artikels?

Natürlich nur, weil LinuxKP.org in der FTD-Linkliste nicht vorkommt

Schreibe einen Kommentar