Und wieder ist es passiert, eine Mini-Artikelserie über Linux ist in einem renommierten deutschen Magazin erschienen. Naja, ok, nicht direkt in der gedruckten Variante, aber immerhin in der Netzwelt von Spiegel Online. Die beiden Artikel „Quälen an der Quelle“ und „die Not mit dem Retter“ von Klaus Lüber stellen in stark komprimierter Form das Scheitern eines Wechselwilligen an den Tücken von Linux dar und beschreiben die Misere, dass ein eigentlich gut laufendes System unter Linux nach einem Update urplötzlich die Arbeit mit Komponenten verweigert, die vorher einwandfrei liefen.
Die These, Linux überfordere seine User, stellt der Autor ganz vorne an, um danach in seinem ersten Artikel den Werdegang von Raptor, alias Karl zu beschreiben, dem ein Virus sein Windows XP Notebook verwüstet hat. Für ihn Grund genug, das Betriebssystem zu wechseln, schliesslich ist Linux sicherer, stabiler und innovativer. Das der Betrieb von Linux auf Notebooks leider zu einem guten Teil noch vom Wohl und Wehe der Hardwarehersteller abhängt, hat Raptor scheinbar niemand vorher erzählt. Vielleicht hatte er ja auch nicht gefragt und die einschlägigen Kompatibilitätstest, z.B. bei Notebooktests der c’t, einfach nicht gelesen. Es kam also, wie es kommen musste, um das Modem zum Laufen zu bringen, musste Raptor in die Untiefen der Kernelmodule und des Kernels selbst einsteigen.
Nach einem halben Jahr harter Arbeit arbeitete sein Notebook dann mit Modem, Scanner, Drucker und USB-Stick. Kaum geschafft, lässt sich Raptor auf das Abenteuer Update ein. Danach geht das Modem wieder nicht mehr. Nach dieser niederschmetternden Erfahrung wirft Raptor sein ganzes frisch erworbenes Wissen mitsamt den gesammelten Linux-Zeitschriften auf den Müll und wendet sich wieder Windows XP zu.
Bis hierhin ein fast typischer Werdegang eines Benutzers, der lieber etwas mehr Sorgfalt in die Absicherung seines Windows-Systems hätte legen sollen, als sich auf einen Betriebssystemwechsel einzulassen. Möglicherweise suggerieren Linux-Distributionen wie die von Mandrake, Red Hat, SUSE, Ubuntu und anderen ja, dass alles ganz einfach ist. Linux-Anwender würden so etwas nie behaupten. Der alte Satz, Linux ist nicht schwierig sondern nur wählerisch in der Auswahl seiner Anwender, hat einen wahren Kern. Es reicht eben nicht, mit Geiz ist geil Mentalität in den nächsten Kistenschiebermarkt zu stürmen, sich irgendein Schnäppchen zu greifen und schnell mal Linux aufzuspielen. Ein Betriebssystem, dass man selbst installiert, sollte man auch verstehen können. Da kann man sich nämlich nicht darauf herausreden, dass ja der Hardwarehersteller XYZ alles schon fertig konfiguriert hat.
So wird im Artikel zwar erwähnt, dass es mit der Hardwareeinbindung zum Teil hapert, woran das liegt, wird jedoch verschwiegen. Das hier die Hardwarehersteller gefordert sind, die auch 2005, mehr als eine Dekade nach der Erstveröffentlichung von Linux, immer noch mauern und weder selbst geeignete Treibermodule anbieten, noch freie Entwickler in ihre Spezifikationen schauen lassen, wird dem Leser unterschlagen. Nicht Linux oder die Open Source Community sind schuld daran, dass Raptor acht Monate seines IT-Lebens verschwendet hat. In erster Linie muss er sich die Schuld daran selbst wohl zuschreiben. Vielleicht wäre es die bessere Lösung gewesen, einfach das schon installierte Betriebssystem abzusichern. Das geht nämlich auch mit Windows, ist vielen Anwendern aber ebenso unbekannt wie der Umgang mit Linux. Modems unter Linux, die mit Open Source Modulen partout nicht zum Laufen zu bringen sind, bringt z.B. eine käuflich zu erwerbende Software für 15 $ in Schwung, die einfach die Windows-Treiber nachlädt. Onlinekosten und potentielle Arbeitszeit mitgerechnet, hätte sich eine derartige Anschaffung nach ca. einer Stunden Herumprobieren bereits ammortisiert.
Aber der Spiegelartikel geht ja noch weiter. Nach der komischen Oper mit Raptor wird zum Rundumschlag ausgeholt. Anhand der Unix-Wurzeln von Linux wird das Argument ins Feld geführt, Linux sei veraltet, weil es ja auch einem Design aus den 60er Jahren basiert. Dem Autor war wohl nicht bekannt, dass auch Windows XP im Kern auf Unix-Quellen baut und dass das gerade bei Zeitungsleuten sehr beliebte MacOS X ebenfalls Unix unter der Haube hat. Zitat: „Linux hat das kybernetische Kontrolldenken in seiner Programmstruktur konserviert.“ Buzzword Bingo at its best.
Wer von seinem eigenen Computer fremdbestimmt werden will, wird nicht mal mit Windows glücklich, auch wenn da jede Menge Programmprozesse ablaufen, die der Anwender nur schwer beeinflussen kann. Sich aber auf den Gipfel der Ignoranz zu setzen und sich zu wünschen, mit all diesen Computerschnickschnackfirlefanzen wie Programmlogfiles oder Zugriffsrechten nichts zu tun haben zu wollen, ist schon eine ganz besondere Sichtweise der Dinge. Für Leute, die nur mal eben einen Brief schreiben wollen, ohne mit der Hand schreiben zu müssen, ist vor mehr als hundert jahren schon das passende erfunden worden, die Schreibmaschine. Computer sind nun mal eine komplexe Ansammlung von Technik in Hardware und Software und verlangen ein Mindestmaß an Verständnis. Das verlangt übrigens auch ein Abakus. Ohne die passenden Benutzungsregeln wird auch diese universelle Rechenmaschine zum Dekorobjekt.
Richtig lustig wird der Autor im vorletzten Kapitel, in dem er die oft zitierte Behauptung aufstellt, Open Source Programme enthielten per se mehr Fehler als kommerzielle Software. Über diesen Punkt habe ich selbst mal eine längere eMail-Diskussion mit Andreas Jaeger, einem der glibc-Programmierer gehabt, weil ich die These aufgestellt hatte, beide Arten von Software, die freie sowie die kommerzielle enthielten in etwa gleich viele Fehler, einfach, weil die Programmierer beider Vertreter nicht schlechter sein müssen, als die jeweils anderen (siehe Editorial: Open Choice). Der Vorteil von Open Source Software liegt in der freien Verfügbarkeit des Sourcecodes, was das Fixen von Programmfehlern überhaupt erst möglich macht. Während freie Software meist schon innerhalb von Stunden bis Tagen nach Bekanntwerden einer Schwachstelle durch ein Bugfix wieder abgesichert werden kann, vergehen bei kommerzieller Software z.T. Wochen bis Monate, bis sich die verantwortliche Firma bequemt, den Fehler zuzugeben und ggf. ein Bugfix anzubieten.
Das Fazit des Autoren klingt dann auch kurios. Zitat: „Wer den größten Teil seiner Arbeitszeit damit verbringt, Fehlerprotokolle auszuwerten, Programmbibliotheken zu pflegen, Befehlszeilen auszuprobieren und nach Software-Updates zu suchen, hat sich zum Sklaven seiner eigenen Kontrollsucht gemacht.“
Kreatives Arbeiten würde so erschwert, wenn nicht gar unmöglich. Der Autor träumt von Technik, die einfach so funktioniert und über die man nicht nachdenken muss. Dabei wird allerdings übersehen, dass es auch dann noch Menschen geben muss, die die Technik beherrschen, über die die anderen nicht nachdenken wollen. Ich jedenfalls werfe auch auf meiner Windows-Spielekonsole gelegentlich einen Blick in die Fehlermeldungen und pflege im Gegenzug unter Linux nicht jeden Tag Programmbibliotheken. Und nur, weil ich gern über das, was meine Rechner tun, Bescheid weiss, heisst das noch nicht, dass ich zum Sklaven meiner Kontrollsucht geworden bin.
Mir kommt gerade eine neue Geschäftsidee, Inspektionsdienste für Computer von Technikignoranten anbieten. Kleine Inspektion alle 100 Betriebsstunden, große Inspektion alle 1000 Stunden, Logfile-Bereinigung und Treiberupdates inclusive. Bei Autos verdienen sich die Werkstätten dadurch ja auch ihren Lebensunterhalt. Und wer im übertragenen Sinn eben nicht nach dem Kühlwasser und dem Motorenöl sehen will, sollte jemanden fragen, der sich damit auskennt. Es ist keine Schande, sich nicht mit Technik auszukennen, aber ist ein wirklich unfeiner Zug, alle in die Freak-Ecke zu stellen, die mehr Ahnung davon haben, als man selbst.
Also Herr Lüber, setzten, sechs. Wieder mal eine Veröffentlichung in einer grossen deutschen Zeitschrift, die mit Halbwissen und -wahrheiten auf dem Linux-Hype reiten will, ohne wirklich Neues oder Wissenswertes beizusteuern.
Carpe diem,
Frank