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SPD, wo bist Du?

willy_waehlenHey SPD, weisst Du noch, als ich mich auf dem Schulhof für Dich gekloppt habe? Das war damals, Anfang der 70er, als es darum ging, die jahrzehntelange schwarze Agonie der Adenauers und Kiesingers abzuschütteln.

OK, das hat mir damals nichts gesagt, ich habe mich nur für Dich gekloppt, weil mein Vater und mein Opa und überhaupt alle in meiner Familie für die SPD waren. Und ich fand Willy Brandt und Herbert Wehner und Egon Bahr und Carlo Schmid und Annemarie Renger und so einfach echt OK. Die Doofen von der CDU/CSU waren natürlich auch einfach deshalb die Doofen, weil sie eben nicht in der SPD waren und im Fernsehen immer so gemein zu „meinem“ Willy waren. Also musste ich mich auf dem Schulhof eben für die SPD mit Guido kloppen, der war nämlich für die CDU.

Dann kam der doofe Spion und Willy war weg. Das war ein schwarzer Tag für mich, denn jetzt sah es kurz so aus, als bekäme Guido auf dem Schulhof Oberwasser. Aber es gab ja noch Helmut Schmidt, der sorgte dafür, dass wir SPD-Jungs auf dem Schulhof regierten.

Später, als die erste Wahl statt fand, bei der auch ich meine Stimme abgeben durfte, hatte die F.D.P. gerade den Kanzlermord begangen und „meinen“ Helmut Schmidt auf die kalte Tour abgesägt. OK, der hatte auch nicht den gleichen Knuddelfaktor wie Willy Brandt, aber er begleitete mich beim Erwachsenwerden und dem Erwachen meines politischen Verständnisses. Helmut Schmidt hat mit imponiert, weil er auf intelligente Art intelligente Sachen gesagt hat und weil er wusste, wann man den Mund halten muß.

Als“der Lotse von Bord ging„, scheint Dir, liebe SPD, so langsam der Kurs verschwommen zu sein. Die klugen Köpfe wurden erst rarer, dann, schlimmer noch, weniger klug. Björn Engholm hätte das Ruder vielleicht herumreissen können, aber dem kam die Barschel-Affäre dazwischen. Und dann kam uns allen die Wiedervereinigung dazwischen. Das war gleich doppelt schön für mich, denn „mein“ Willy tauchte nochmal auf, sang etwas schräg bei der Nationalhymne mit und schien glücklich. Ich gönnte ihm seinen späten Triumph, denn es ist sicher zu einem guten Teil auch ihm zu verdanken, dass wir heute auf ein ganz anderes Europa blicken als damals, als ich mich für Dich, liebe SPD, auf dem Schulhof gekloppt habe. Wem von Deinen Volksvertretern würde man einen Kniefall wie den Willy Brandt’s in Warschau noch abnehmen? Frank-Walter? Nee. Münte? Wohl auch nicht? Gibt’s da noch andere? War da noch wer? Irgendeine charismatische Figur, mit der sich auch heutige Schulkinder noch so identifizieren könnten, dass sie sich auf dem Schulhof drum balgen würden? Das muss man ja heute auch ablehnen, wo schon Erstklässler schwer bewaffnet in die Pause ausrücken.

Zu Deiner Entlastung könnte man natürlich anführen, dass es den Anderen auch nicht besser geht. Westerwelle hat in keinster Weise Genscher-Format und echte Typen wie Karl Carstens, Heiner Geißler und Franz Josef Strauß sucht man in der politischen Landschaft heute vergebens. Dafür haben die gelernten Politiker gesorgt, erst Helmut Kohl in der CDU, dann Gerhard Schröder bei Dir, liebe SPD.

Es herrscht Einheitbrei. Berufspolitiker, die nichts anständiges gelernt haben mit einer bügelfreien Vita wie fleischgewordene Kens und Barbies bevölkern die Bühne und den Bundestag. Da ist dann wieder Platz für Leute, die noch echte Anliegen haben oder zumindest mal hatten, wie Angela Merkel. Die hat Politik nicht aus Spaß gelernt, sondern, weil es etwas zu bewegen galt.

Hast Du, liebe SPD, auch solche Leute? Ich helfe mal eben beim Nachdenken, wie wär’s mit Matthias Platzeck oder Kurt Beck? Tja, da dachte ich, vielleicht wird dass ja was, wenn einer von denen zumindest Parteivorsitzender wird, aber den Spaß haben ihnen Deine Stromlinienberufspolitiker ja gründlich versaut. Bei Platzek hast Du, liebe SPD, es ja noch geschafft, es wie einen Zufall aussehen zu lassen, aber das Rauskanten von Kurt Beck war echtes Schmierentheater.

Sicher ist Gerhard Schröder nicht ganz unschuldig an der Misere, ist er doch sozusagen der Superhero aller gelernten Politiker. OK, er hat Jura studiert, aber doch wohl eher mit dem Ziel, Politiker zu werden. Dem eifern jetzt alle nach, die in der Politik ihr Heil sehen, um nicht ehrlich arbeiten zu müssen.

Und jetzt gehst Du, liebe SPD, in der großen Koalition ebenso unter wie vor 40 Jahren die CDU. Und das Schlimme ist, Du rennst auch noch fröhlich pfeifend in den Abgrund. Ich will jetzt gar nicht näher darauf eingehen, wie Du Dich #zensursula an den Hals wirfst, aber es ist bezeichnend, dass Du selbst diese Steilvorlage, mal wieder echtes Profil zu zeigen, sausen lässt. Da hättest Du über 115.000 Menschen, die die Petition gegen Internet-Zensur unterzeichnet haben, für die Du Dich einsetzen könntest. Viele davon, ich zum Beispiel, würden Dich evtl. sogar wieder mal wählen. Aber nee, Du schmollst jetzt, weil Du im Europawahlkampf eine Klatsche bekommen hast. Warum hat man Dich denn abgewatscht? Weil Du kein sichtbares Profil mehr hast, keine echte, von der CDU differenzierbare Position vertrittst. Und dann stellt sich einer Deiner Politclowns auch noch hin und fordert eine 50 € Strafe für Nichtwähler. Ja geht’s noch, SPD, Merkst Du’s noch? Disziplinier endlich mal Deine Politclowns, lass wieder Leute mit echten Ideen, Idealen und Charisma ans Ruder.

So, wie Du jetzt bist, würde ich mich nicht mehr auf dem Schulhof für Dich kloppen.

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